Energieknappheit oder Energiekrise?

Als der größte Kohle-, Stahl- und Kupferverbraucher und der zweitgrößte Öl- und Stromverbraucher nach den USA hat Chinas Appetit nach Energie eine Energieknappheit geschaffen, die zu einem Engpass für die rapide Wirtschaftsentwicklung des Landes geführt hat.

Der Stromknappheit im Jangtse-Delta folgte schnell die Kohlen- und Ölknappheit in Nordost-, Ost-, Süd- und Südwestchina.

Ist das ein Anzeichen einer Energiekrise? Kann das Angebot von Energieträgern in China wirklich die Nachfrage nicht decken? Wie wird sich China dieser Situation mit einer neuen Energiestrategie anpassen?

Zunehmende Energieknappheit

Statistiken des State Power Dispatching and Communication Center zufolge überschritt der Tagesstromverbrauch in China am 28. Juni zum ersten Mal die 600 Mrd. kWh-Grenze und erreichte am 29. Juni einen neuen Rekord von 627,4 Mrd. kWh.

Die gesamte Nachfrage nach Strom im Jahr 2004 wird sich schätzungsweise auf 2115-2173 Mrd. kWh belaufen. Schätzungen der Staatlichen Kommission für Elektrizität (State Electricity Regulator Commission, SERC) von Anfang Juni zufolge wird sich der Mangel an Strom in diesem Jahrauf mindestens auf 60 Mrd. kWh belaufen.

Im Vergleich mit dem gleichen Zeitraum des vorigen Jahres stieg der industrielle Stromverbrauch in der ersten Hälfte dieses Jahres um 17,37%, das sind 80,37% des gesamten Wachstums des Stromverbrauchs in China. Die Nachfrage der stromverbrauchenden Industrien behielt ein hohes Wachstum bei. Der Stromverbrauch der Chemie-, der Baustoff-, der Schwarzmetall- und der Buntmetallindustrie machte etwa 40% des gesamten industriellen Stromverbrauchs oder 35,3% des Stromverbrauchs der ganzen Gesellschaft aus, was eine Zunahme um 0,6 bzw. 1,2 Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitraum vorigen Jahres bedeutete.

Den jüngsten Statistiken der SERC zufolge war die unzureichende Stromversorgung in der ersten Hälfte dieses Jahres noch ernster. 24 Provinzen, autonome Gebiete und regierungsunmittelbare Städte erlebten in der Spitzenzeit in den ersten sechs Monaten Stromausfälle. Mit einem Mangel an etwa 25 Mio. kWh im ganzen Land war die Situation in der ersten Hälfte dieses Jahres noch schlimmer als im Winter 2003.

Das Angebot kann die Nachfrage nicht decken. In der ersten Hälfte dieses Jahres stieg die Stromerzeugung im ganzen Land um 15,8% auf 991 Mrd. kWh. Dennoch konnte der Stromverbrauch, der um 20-30% stieg, bei weitem nicht gedeckt werden.

Auch die Kohleversorgung war unzureichend. Gegenwärtig macht Strom aus Kohle mehr als 70% der Stromversorgung des ganzen Landes aus. Darüber hinaus brauchen die Städte in Südchina, die sich auf Wasserkraft verlassen, Strom aus Kohle, wenn sie in der Trockenzeit eine Stromknappheit erleiden. Diese Faktoren haben die Kohleknappheit verschärft.

Prognosen der SERC zufolge wird der Energieverbrauch des ganzen Landes in diesem Jahr um 12% steigen, während der Kohleverbrauch für die Stromerzeugung um mehr als 90 Mio. t gegenüber dem Jahr 2003 steigen wird. Viele Wärmekraftwerke hatten schon Anfang Juli ihre für die Spitzenzeit reservierten Kohlevorräte aufgebraucht, und der Kohlenvorrat einiger Wärmekraftwerke reichte nur für zwei bis drei Tage. Es kam in diesem Sommer in vielen großen und mittelgroßen Städten zu einer Kohleknappheit, die zu einer Steigerung der Kohlepreise führte.

Schätzungen zufolge werden die Ölimporte in diesem Jahr die 100 Mio. Tonnen-Grenze überschreiten. Die Tatsache, dass 50% der Ölimporte aus dem Nahen Osten kommen, macht die Ölversorgung Chinas unwägbar.

Chinas Wirtschaftswachstum signalisiere eine erhebliche Zunahme des Ölverbrauchs in der Zukunft, hieß es in einem Bericht von Goldman Sachs. Gegenwärtig werden 35% der Nachfrage Chinas nach Öl durch Importe befriedigt. Dieser Anteil wird der International Energy Association (IEA) zufolge bis zum Jahr 2030 84% erreichen. Dies wird China angreifbar machen, wenn es mit einer Veränderung der Ölversorgung aus dem Nahen Osten konfrontiert ist.

Wird es eine Energiekrise geben?

Verheißt diese Energieknappheit eine Krise? Zhou Jingru, Direktor des Energieforschungsinstituts bei der Staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission, ist der Ansicht, dass die gegenwärtige Energie-, Kohle- und Ölknappheit durch verschiedene Faktoren wie die nicht exakt vorauszusagende Wirtschaftsentwicklung, die schlechte Verwaltung der Energieressourcen sowie die die nicht besonders gute Struktur der Industrie und des Energieverbrauchs, verursacht worden ist.

Xia Honghui, Direktor des Naturgaskomiteeader Chinesischen Erdölgesellschaft, sagt, dass die rationelle Erschließung und Nutzung von Energieträgern eine einheitliche Planung brauche und dass das rapide Wirtschaftswachstum dadurch behindert worden sei, dass die Erschließung gewisser Energieträger der Marktnachfrage nicht entspreche. "Das Problem ist, wie diese Ressourcen rationell genutzt werden. Wir können dies nicht einfach als ,eine Krise 'bezeichnen'", sagt Xia.

Hu Dayuan, Professor des Chinesischen Wirtschaftsforschungszentrums der Peking-Universität, sagt, dass das Energieproblem in China auf den Marktfaktor sowie den "unvollständigen Versorgungsmechanismus" zurückzuführen sei. "Was die Energiereserven anbelangt, ist es in China unmöglich, dass es in absehbarer Zukunft zu einer Energiekrise kommen wird", sagt Hu.

Das Wachstum der Stromerzeugung des Landes zeigt, dass die ungenügende Energieversorgung in China in großem Maße auf ineffiziente und Energienutzung und Verschwendung zurückzuführen ist.

Fan Weitang, Mitglied der Chinesischen Akademie der Ingenieurwissenschaften, Präsident der Chinesischen Energieforschungsgesellschaft und Vorsitzender der Chinesischen Kohlenindustrieverbandes, verglich China mit den entwickelten Ländern im Bereich der Energienutzung. "Was die Energienutzung anbelangt, zeigt China momentan immer noch eine niedrige Effizienz und bleibt hinter den Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD) um zehn Prozentpunkte zurück."

Optimierung des Energieverbrauchs

Zeng Ming, Professor der Nordostchinesischen Universität für Stromenergie, sagt, dass es in China Probleme bei Angebot-Nachfrage nach Energieträgern gebe. Der Anteil der Investitionen in die Stromerzeugung sei in den letzten Jahren immer kleiner geworden und die Investitionen in infrastrukturelle Einrichtungen für die Stromerzeugung blieben seit mehreren Jahren hinter den staatlichen Investitionen in den Aufbau anderer infrastruktureller Einrichtungen zurück. Die Verlangsamung des Aufbaus von Einrichtungen für die Stromerzeugung führe zur ungenügenden Stromversorgung, so Professor Zeng.

Die Regierung hat begonnen, das Energieproblem zu lösen. Die Staatliche Entwicklungs- und Reformkommission veröffentlichte am 26. Dezember 2003 Prinzipien für die industrielle Umstrukturierung. Das Ziel und der Schwerpunkt dieser Umstrukturierung sind fortgeschrittene Technik sowie umweltfreundliche und energiesparende Anlagen und Produkte, zu fördern. Anlagen die viel Energie verbrauchen und Umweltverschmutzung verursachen, sollen ausgemustert werden.

Die Optimierung der Energiestruktur wird als ein wichtiger Bestandteil der langfristigen Strategie für die Energieentwicklung betrachtet. Brancheninsider sind der Ansicht, dass China weit davon entfernt sei, eine Kohlenknappheit zu haben, da die bekannten Kohlenreserven Chinas sich auf 114,5 Mrd. t beliefen.

Feng Fei, stellvertretender Leiter der Forschungsabteilung für Industriewirtschaft des Entwicklungsforschungszentrums beim Staatsrat, unterbreitete seine Vorschläge zur Optimierung der Struktur des Energieverbrauchs. Als einer der Hauptverfasser der nationalen Energiestrategie Chinas schlug er vor, den Anteil des Kohlenverbrauchs allmählich zu reduzieren, die Nutzung von Erdgas zu beschleunigen, sich auf die inländischen Ressourcen zur Befriedigung der inländischen Marktnachfrage nach Öl zu verlassen, Wasser- und Atomkraft sowie andere recycelbare Energieressourcen zu entwickeln und innerhalb von 20 Jahren eine diversifizierte Energiestruktur zu erreichen.

(Beijing Rundschau/China.org.cn, 30. September 2004)