Wege aus der Energiekrise

Claude Mandil, Geschäftsführer der Internationalen Energieagentur (International Energy Agency, IEA), traf am 22. April in Beijing ein, um dort an einem Treffen teilzunehmen. Sein Besuch wurde nicht nur begrüßt, sondern auch mit großem Interesse verfolgt. Er war mit einer Gruppe von Experten angereist, um China hinsichtlich der Energieknappheit des Landes Ratschläge zu geben.

Mandil schlug vor, dass China seine Ölreserven erheblich vergrößern müsse, wobei die Menge zuerst den Verbrauch für mindestens 20-30 Tage sicherstellen und allmählich für eine 90 Tage-Notversorgung ausreichend sein sollte. Experten schätzen, dass Chinas Ölreserven gegenwärtig nur für den Verbrauch von drei Tage ausreichen.

Wang Lengyi von der Shanghaier Akademie für Sozialwissenschaften ist Mitglied des Beraterstabs der Regierung für Energiestudien. Sein Stab unterbreitete dem Staatsrat einen Bericht bezüglich einer Gesetzgebung über eine Strategie zum Aufbau von Ölreserven, der eine ganze Reihe von Vorschlägen enthält.

Chinas primärer Energieverbrauch wird bis zum Jahr 2020 schätzungsweise den Wert von 3 Mrd. Tonnen Standardkohle erreichen, mehr als das Doppelte des Jahres 2000. Die Pro-Kopf-Energieressourcen des Landes liegen dabei aber bei weniger als der Hälfte des Weltdurchschnitts. Chinas Pro-Kopf-Ölressourcen entsprechen nur einem Zehntel des Weltdurchschnitts. Mittlerweile wird 30% des in China verbrauchten Öls importiert. Wenn der gegenwärtige Trend unverändert bleibt, wird China bis zum Jahr 2020 60% des Ölverbrauches des Landes durch Importe befriedigen müssen.

Unzureichende Stromversorgung

Shanghai erlebte im letzten Sommer innerhalb von 20 Tagen 54 Stromausfälle, eine große Unbequemlichkeit für die Einwohner und Unternehmen. Experten sagen voraus, dass die Energieknappheit in diesem Jahr noch ernster sein wird.

Die Schwere der Situation betonend äußerte ein Sprecher der Stadtregierung von Shanghai, dass, abgesehen von unvorhergesehenen Stromausfällen, Shanghai den Strom auf keinen Fall sperren bzw. den Einwohnern Beschränkungen beim Elektrizitätsverbrauch auferlegen werde. Selbst wenn die Situation angespannt sei, werde die Stadtregierung nur die Stromversorgung für gewisse Unternehmen teilweise einschränken.

Shanghai hat entschieden, die Strompreise zu erhöhen, um den Stromverbrauch zu zügeln. Unterdessen haben zuständige Abteilungen einen neuen Stromentwicklungsplan entworfen, nach dem bis zum Jahr 2010 die installierte Kapazität der Stadt auf mehr als 8 Mio. kW steigen soll, doppelt so viel wie im Jahr 2003.

In der Provinz Henan tauchte die Stromknappheit in diesem Jahr früher als in den vergangenen Jahren auf. Als eine der wichtigsten Landwirtschaftsprovinzen hat Henan in den vergangenen Jahren von Juni bis September und von November bis Dezember regelmäßig mit Stromknappheit zu kämpfen gehabt. Im April dieses Jahres, normalerweise ein problemloser Monat, kam es unerwartet zu Stromknappheit. Schätzungen der Henaner Elektrizitätswerke zufolge wird die Stromknappheit der Provinz sich in diesem Sommer auf bis zu 20 Mio. kW belaufen.

Einer der Gründe für die Stromknappheit ist die übermäßige Abhängigkeit von der Stromerzeugung durch Kohle. China hat daher mittlerweile einen nachhaltigeren Energieentwicklungsplan entworfen, um den Anteil der Kohlekraft allmählich zu reduzieren und durch Atom- und Wasserkraft zu ersetzen.

Einem Bericht des China News Service zufolge, plant China von 2005 bis 2020 jährlich zwei Kernkraftwerke zu bauen und so seine installierte Kapazität auf 32 Mio. kW zu vervierfachen. In den vergangenen 20 Jahren hat China acht Kernreaktoren errichtet. Die chinesische Regierung zieht momentan in Betracht, in Ostchina und Guangdong, vier Kernkraftwerke mit jeweils einer installierten Kapazität von 1 Mio. kW zu bauen.

Alkohol: Eine weitere Energiequelle

Zhang Dawei, Beamter des Ministeriums für Land und Ressourcen, sagt, dass der Netto-Rohölimport sich im Jahr 2003 auf nahezu 100 Mio. t belaufen habe, was 36,5% der gesamten Nachfrage Chinas ausmache. Er schätzt, dass die Importe in diesem Jahr diese Zahl wahrscheinlich überschreiten werden.

Unterdessen schränken unzureichende Ressourcen die Erhöhung der inländischen Produktion weiter ein. Chinas Nachfrage nach Öl wird bis zum Jahr 2010 schätzungsweise 320 Mio. t und der Ölimport 160 Mio. t erreichen.

Seit dem 31. März sind die Benzinpreise in China aufgrund des Mangels an Rohöl stetig gestiegen. Die Preissteigerung für 93-Oktan-Benzin in Beijing hat 8% überschritten und seit 2000, als China die Benzinpreise freigab, seinen Höchststand erreicht. Auch in Shanghai erreicht der Preis für 97-Oktan-Benzin einen bisher beispiellosen Höchststand.

Um diesen Druck zu erleichtern, veröffentlichte die Staatliche Reform- und Entwicklungskommission den Plan, ein Testprojekt zu fördern, welches Benzin gemischt mit Alkohol, einer potenziellen Alternativenergie, durchsetzen will.

Der Staatlichen Reform- und Entwicklungskommission zufolge deckt das Testprojekt die Provinzen Heilongjiang, Jilin, Liaoning, Henan und Anhui sowie einen Teil der Provinzen Hubei, Shandong, Hebei und Jiangsu ab. Zur Umsetzung des Projekts werden 10,2 Mio. t denaturierter Alkohol auf die lokalen Märkte gebracht werden. Bis Ende 2005 soll in den o.g. Provinzen das Benzin für alle Autos, abgesehen von Militärautos und speziellen Reserven, durch das mit Alkohol gemischte Benzin ersetzt werden.

Änderung der Strategie beim Ölankauf nötig

Angesichts einer schnell zunehmenden Ölnachfrage und der begrenzten inländischen Ressourcen suchen chinesische Unternehmen weiter nach zuverlässigen Öllieferanten auf dem internationalen Markt.

Chen Huai, Direktor des Forschungsinstituts für Marktwirtschaft beim Entwicklungsforschungszentrum des Staatsrats, zufolge hatte die chinesische Ölstrategie in der Vergangenheit die Ölsondierung und -erschließung im Fokus. Diese Strategie wird zwar weiter fortgesetzt, aber durch eine neue Strategie, die Suche nach Anbietern auf dem internationalen Markt und die Teilnahme am globalen Ölmarkt, erweitert.

Chen sagt, es sei eine Herausforderung für China, Öl zu einem angemessenen Preis auf dem internationalen Ölmarkt anzukaufen. China ist gegenwärtig aktiv auf den Ölmärkten Lybiens, Russlands, Aserbaidschans, Kasachstans, Indonesiens, Myanmars, des Iran, Omans, Venezuelas und Sudans vertreten. China versucht, sich auf den Märkten dieser Länder zu etablieren. Zu diesem Zweck erwerben chinesische Unternehmen Aktien oder investieren in dortige Ölprojekte, um so gewisse Anteile an der Ölförderung zu erhalten.

Yi Xianrong, Forschungsrat des Finanzinstituts der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, sagt, dass ein Weg zur Milderung des Ölmangels in China sei, das Vorgehen der Regierung beim Ankauf von Öl zu ändern. Die zuständigen Regierungsbeamte versäumten manchmal billige Ölpreise. Dies sei eine teure Ineffizienz.

Yi nennt als Beispiel den Januar und Februar 1999, da habe sich der internationale Ölpreis auf einem Tiefststand befunden, aber China habe nur 3 Mio. t Rohöl importiert, ein Rückgang um 40% gegenüber 1998. Im März 1999, als die Ölpreise auf dem internationalen Markt wieder stiegen, habe China dann wieder mehr Rohöl importiert, das 2,6fache des Vormonats.

Zha Daojiong, Leiter des Zentrums für Internationale Energiestudien der Volksuniversität, meint, dass die Schaffung von Ölreserven eine wichtige Maßnahme zur Stabilisierung des Ölangebots und der Ölpreise sei. Dies könne jedoch Chinas Ölnachfrage nicht befriedigen. China sollte seine Methoden des Ölkaufs ändern und an Stelle von Bargeldgeschäften mehr auf Termingeschäfte setzen. Außerdem solle die chinesische Ölindustrie mit internationalen Ölorganisationen kooperieren, darunter der IEA, um sich so schnell wie möglich in den internationalen Ölmarkt zu integrieren.

(Beijing Rundschau/China.org.cn, 20. Juli 2004)